Chancengleichheit in der Praxis

Die Arbeit im Bildungs- und Sozialwerk Muldental e.V.

Das Leben ist schön, aber nicht immer fair. Wir treten nicht mit den gleichen Chancen in die Welt und können zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens von einem Schicksalsschlag getroffen werden. Um dieses Ungleichgewicht an Voraussetzungen halbwegs in Waage zu bringen, braucht es soziale Träger wie das BSW Muldental aus Colditz. Das Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V. kennt keine Altersgrenze bei der Unterstützung von Menschen in Krisen- und erschwerten Lebenssituationen. Deswegen verfolgt der Verein ein ganzheitliches Konzept der Förderung und Hilfe , in dem die Würde des Menschen und dessen Teilhabe an Gesellschaft, Arbeit, Politik und Kultur an oberster Stelle steht. Wir durften den sozialen Träger für einen Tag begleiten und trafen dabei auf herzliche und echte Menschen, die lieben, was sie tun. Auch, wenn das nicht immer so einfach ist. 

Vom Kleinkind bis zum Senior – soziale Arbeit kennt keine (Alters-)Grenzen

Laura Klar im Gespräch mit Melanie Jungmann (Marketing & Datenschutz im BSW Muldental)
Laura Klar im Gespräch mit Melanie Jungmann (Marketing & Datenschutz im BSW Muldental)

Vor 30 Jahren, kurz nach der Wende, wurde das BSW Muldental gegründet. Die Schließung zahlreicher Unternehmen in Ostdeutschland, durch Treuhand und Systemwechsel, betraf auch den Chemieanlagenbau in Grimma. Nachdem die große Firma aufgeteilt wurde, gingen die ansässigen Berufsschulen verloren – durch einzelne Berufsschullehrer:innen und das Arbeitsamt wurde das BSW gegründet, um die Auszubildenen nicht in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Bis heute hat sich aus dieser Notsituation ein großer gemeinnütziger Verein entwickelt. Er ist in den Bereichen Bildung, Kinder- und Jugendhilfe sowie der Arbeit mit Senior:innen aktiv. Damit ist der Verein eine der wichtigsten Anlaufstellen für Menschen mit Hilfsbedarf in der Region. Für den Geschäftsführer Christian Kamprad ist das eine Selbstverständlichkeit und keine großzügige Geste. Solange Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft bestehen, muss es Angebote geben, um diese zumindest ansatzweise ausgleichen zu können. 

Im BSW Muldental gibt es dafür verschiedene Stationen: Der Bildungsbereich betrifft insbesondere Jugendliche und Erwachsene. 

So können Schüler:innen, die Schwierigkeiten in der Jobsuche haben, hier Berufsorientierung erhalten und anschließend eine dreijährige Ausbildung im BSW selbst absolvieren. Zur Auswahl stehen unter anderem holz- und metallverarbeitende Berufe, Maler:in, Hauswirtschaft, Lager, Garten- und Landschaftsbau. Bei der Verbundausbildung werden junge Menschen und ihre Ausbildungsbetriebe durch ergänzende Kurse unterstützt, die die Betriebe selbst nicht anbieten können. Für Erwachsene liegt der Schwerpunkt im Wiedereintritt in die Berufswelt – sei es als Langzeitarbeitslose:r, kürzlich gekündigt oder zur Neuorientierung. Ein ausgebautes Netzwerk zu den regionalen Unternehmen ist ein großer Pluspunkt für die Vermittlung von Arbeitssuchenden, wie Kamprad weiß. Oder man stellt sie einfach vom Fleck weg selbst ein: So hat es bei Melanie Jungmann, der Marketing- und Datenschutzbeauftragten, auch funktioniert. Als sie sich durch die Teilnahme an einer Maßnahme der Arbeitsagentur in der Erwachsenenqualifikation im BSW eine neue Perspektive erhoffte, fand sie sich kurzerhand im Bewerbungsgespräch mit dem Geschäftsführer wieder. Diesen Schritt hat sie bis heute nicht bereut.

Für die Kleinsten von uns wird im Kinder- und Jugendnotdienst des Landkreises Leipzig gesorgt. Anspruchsvolle Tätigkeiten für Sozialarbeiter:innen eröffnen sich außerdem in weiterführenden Angeboten wie den Wohn- und Tagesgruppen, in der Schulsozialarbeit und im Bürgercenter Colditz, welches das BSW ebenfalls betreibt. Hier wird erneut deutlich: Unterstützungsleistungen müssen ganzheitlich betrachtet werden, damit sie umfassend fruchten können. Punktuelle Hilfsangebote können diesen Anspruch der sozialen Arbeit nicht erfüllen. 

Dieses Credo hört auch bei Senior:innen nicht auf. Ältere Personen, die mit oder in der Nähe von Angehörigen leben, sind tagsüber oft auf sich allein gestellt. Durch die Tagespflege Muldenblick in Tanndorf werden sie in Pflege und Alltag unterstützt und befinden sich gleichzeitig in bester Gesellschaft. Im  Mehrgenerationenhaus in Grimma wird das Konzept noch weiter ausgebaut, sodass Menschen mit unterschiedlichen Hilfsbedarfen unter einem Dach leben, sich austauschen und bei Bedarf begleitet werden können.

Soziale Arbeit – wie dafür gemacht?

Hans Luka (Sozialarbeiter, systemischer- und Familientherapeut im BSW Muldental e.V.)
Hans Luka (Sozialarbeiter, systemischer- und Familientherapeut im BSW Muldental e.V.)

Mit 160 Mitarbeiter:innen ist das BSW Muldental besonders vielfältig und breit aufgestellt. Neben der Geschäftsführung und der Verwaltung, die zahlreiche Verantwortlichkeiten wahrnehmen, wird ein Großteil der Arbeit von Sozialarbeiter:innen gestemmt. Einer von ihnen ist Hans Luka. Der Sozialarbeiter, systemischer Therapeut und Familientherapeut ist als Bereichsleiter der Kinder- und Jugendhilfe auch für die Personalgewinnung in seinem Bereich zuständig. Er weiß genau, worauf es in dem Job ankommt. 

Der „Alltag“ in der Kinder- und Jugendhilfe ist nichts für schwache Nerven. Kein Tag ist wie der andere, die Herausforderungen sind komplex und es kommt häufig vor, dass schwere Schicksale einen noch bis in den Feierabend begleiten. Das setzt eine gewisse Resilienz für den Job voraus. Hans Luka sucht für sein Team keine perfekten Menschen. Für ihnen zählen Empathie und die Fähigkeit, sich abzugrenzen. Er braucht Team-Buddys, die kritisch sind, mitgestalten und bereit sind, auch an ihrer eigenen Persönlichkeit zu arbeiten und diese stets zu reflektieren. Sind diese Grundvoraussetzungen vorhanden, lernt man vieles im Studium, das meiste jedoch in der Praxis. Er kennt Absolvent:innen der sozialen Arbeit, die nach vielen Jahren Theorie zunächst überfordert im Job ankommen. Um diesem Kontrast entgegenzuwirken, bietet das BSW Muldental in Zusammenarbeit mit den Berufsakademien, bspw. in Breitenbrunn, ein duales Studium an. Dadurch wissen Studierende sofort, was auf sie zukommt und haben die Möglichkeit, in verschiedene Stationen zu schnuppern. Im besten Falle wissen sie zum Ende des Studiums, mit welchem Bereich sie sich identifizieren können. Dafür betont Hans Luka auch die Selbstverwirklichungs- und Entwicklungschancen im BSW Muldental. Er selbst hat sich hier zum systemischen Therapeut sowie Familientherapeut weitergebildet. Eigene Ideen und Projekte finden immer einen sicheren Platz – und die ländliche Region mit Wasser und Wäldern bietet dazu den pädagogischen Spielraum. 

Gesundheit! Mehr als nur Hygienemaßnahmen

Die Arbeit mit Menschen in Krisensituationen verlangt viel ab – physisch wie psychisch. Hans Luka rät dazu, nie länger als drei Jahre in einem Bereich zu bleiben und sich im stetigen Austausch mit Kolleg:innen zu halten. Teambuilding-Aktionen und regelmäßige Supervisionen sollen im BSW zusätzlich für ein gestärktes und kollegiales Team sorgen. Die Gesundheit von Klient:innen und Mitarbeiter:innen hat für den sozialen Träger höchste Priorität – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Die Stabstelle Gesundheits- und Qualitätsmanagement hat Sandra Richter inne. Die Frau mit dem strahlenden Lächeln beschäftigt sich täglich mit dem Schutz der Angehörigen des BSW Muldental. Außerhalb der Krisensituation in den letzten Monaten sieht sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit bei der Beurteilung der psychischen Belastung in den Teams, an deren Beseitigung aktiv gearbeitet wird. Mit einer Mitarbeiter:innenumfrage brachte sie Einzelheiten zu den schwerwiegenden Thematiken in Erfahrung. Doch dann kam Corona. 

Sandra Richter (Stabstelle Gesundheits- und Qualitätsmanagement im BSW Muldental e.V.)
Sandra Richter (Stabstelle Gesundheits- und Qualitätsmanagement im BSW Muldental e.V.)

Für Sandra Richter und das BSW Team ist die Unsicherheit die größte Herausforderung, die  durch ständige Informationen, Hygienevorschriften, Fake News und beunruhigende Zahlen geschürt wird. Aus dieser Flut wurden schnelle und kompetente Entscheidungen getroffen – im BSW Muldental hieß das, sofort einen Krisenstab zu bilden. Aus den gesammelten Erfahrungen lassen sich neue Handlungsoptionen für die Zukunft erschließen. So wurden der bereits begonnene Prozess der Digitalisierung im Unternehmen deutlich beschleunigt und Kommunikationswege u. a. durch Videokonferenzen erleichtert. Diese sind darüber hinaus im BSW von Vorteil, da sich die Arbeit auf mehrere Standorte verteilt und der Fahraufwand merklich verringert werden kann. Auch die Jugendlichen der Hauswirtschaftsausbildung haben sofort reagiert und ein Projekt gestartet, bei dem sie Alltagsmasken für den Verein genäht haben. 

Im Landkreis Leipzig wurde ebenfalls eine Hilfsaktion ins Leben gerufen: Mit den Mitarbeiter:innen des BSW Muldental hat „Colditz vereint“ ein Netzwerk organisiert, das betroffenen oder eingeschränkten Personen während der Pandemie mit Alltags-Hilfen wie Einkaufen oder Gassi-Runden mit dem Hund unterstützt. 

Lokal bewegen - im Landkreis Leipzig

Die Region spielt für den Träger eine besonders große Rolle, schließlich wird hier mit Menschen gearbeitet, die im Umkreis leben. Christian Kamprad schätzt daran vor allem die Vernetzung in Institutionen wie Kreisbehörden und Unternehmen. Gute Kontakte vereinfachen die Entscheidungswege in sozialen Kontexten enorm. Auch er selbst hat sich im Landkreis in Naunhof niedergelassen und schätzt die Lage in der Natur sowie die Nähe zur Stadt – das bringt nicht nur ein vielfältiges kulturelles Angebot, sondern auch einen besseren Zugang zu finanziellen Mitteln für die Arbeit, mit sich. 

Er bemerkt jedoch auch, dass die Stadt Leipzig noch immer polarisiert. Fachkräfte wagen seltener den Schritt in die Umgebung – für die Attraktivität des Landkreises wünscht er sich noch mehr Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. An Wohnraum, Arbeitsplätzen und Umgebung mangelt es zumindest nicht. 

30 Jahre BSW Muldental

Christian Kamprad (Geschäftsführer im BSW Muldental e.V.)
Christian Kamprad (Geschäftsführer im BSW Muldental e.V.)

Durch die Corona-Pandemie konnte das BSW Muldental seinen dritten runden Geburtstag nicht feiern. Bei 30 Jahren möchte man darauf jedoch nicht verzichten und blickt frohen Mutes in das Jahr 2021 . Christian Kamprad blickt auf die Vergangenheit wohlgesonnen zurück. Es wurde schon viel geschafft und darauf können alle Mitwirkenden stolz sein. Die Entwicklungen im sozialen Bereich treiben täglich voran, deswegen heißt es auch, stets am Ball zu bleiben. Christian Kamprad möchte in gemeinsamer Arbeit noch mehr und bessere Angebote schaffen. Auch Inklusion und Nachhaltigkeit sollen darin mehr Platz finden. Wir finden, dass sich das Team ein Anstoßen verdient hat. Alle Menschen, die wir im BSW Muldental getroffen haben, nahmen uns mit Wärme und Kompetenz in Empfang. Dass man, wie auch Melanie Jungmann, sofort bleiben mag, kann ich absolut nachvollziehen. Wer zieht mit? 

 

Ihr habt Interesse ein Teil des Teams im BSW Muldental zu werden? Du bist Sozialarbeiter:in, -pädagog:in oder Erzieher:in mit entsprechender Zusatzausbildung oder willst es noch werden? Deine Bewerbung kannst du  an personal@bsw-muldental.de einsenden. 

Text: Laura Klar

Foto: Miguel Löhmann