In Grimma, einer der großen Kreisstädte im Landkreis Leipzig, inmitten eines ruhigen Wohngebietes, liegt gelegentlich das Echo eines großen lauten Baugeräts in der Luft. Über den Dächern der Familienhäuser ragt ein Kran hervor, der sich langsam dreht und gen Himmel streckt. Hinter dem Haus erblickt man den Geschäftsführer Tobias Heine in schwarzer Weste und breiter Zunfthose. Auch wenn seine Zunftkleidung nicht mehr als besonders funktional gilt, verleiht sie ihm für den heutigen Besuch (und andere schöne Anlässe) beinahe ein märchenhaftes Flair.
Durch das Fenster des Büros, in dem seine Frau Peggy Heine und die Sekretärin Katrin Schindler sitzen, winkt er uns zu. Brötchen und Kaffee sind schon vorbereitet. Heute stehen die Baustellen für uns still. Um uns von ihrem Alltag hier in Grimma zu erzählen, wurden alle ins Boot geholt. Insgesamt sieben Personen werden uns einen Einblick geben, wie die Arbeit in diesem kleinen Betrieb aussieht. Wir sind gespannt!
Eine formelle Vorstellung ist für Tobias Heine nicht nötig, er erinnert sich an unsere Begegnung auf der Azubi- und Studienmesse in Grimma im letzten Jahr. Die Messe ist eine von vielen Veranstaltungen, auf denen Tobias Heine seinen Betrieb vertritt. Unter seiner Anleitung dürfen die Besucher*innen am Stand das vom Unternehmen mitgebrachte Werkzeug und Material ausprobieren, während sich Tobias Heine zurückzieht und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre handwerklichen Fähigkeiten zu testen. "Ich muss ja nicht zeigen, dass ich handwerklich arbeiten kann”, erzählt er und legt eine Hand auf die Brust. Viel wichtiger sei es ihm, dass die Besucher*innen ein Gefühl für das Handwerk bekommen und es sie hoffentlich begeistert.
Über sein Handwerk kann Tobias Heine lange und leidenschaftlich erzählen, vor der Kamera aber ist er etwas aufgeregt. “Ich erzähle gerne von meinem Beruf und dem Betrieb, aber vor der Kamera bin ich scheu.” Zusammen mit seiner Frau Peggy hat er sich gestern nochmal auf das Video-Interview vorbereitet, erzählt uns seine Frau. Tobias Heine nickt und grinst.
Und dann, als ob die Kamera gar nicht da wäre, nimmt uns Tobias Heine mit auf den Rundgang durch die verschiedenen Bereiche seines Betriebs. Wir beginnen im "Bürogebäude". Das Bürogebäude ist eigentlich ein Familienhaus – was der familiären Atmosphäre besser gerecht wird.
In der alten Lagerhalle gegenüber befindet sich die Werkstatt der Dachklempnerei.
Der Unterschied zwischen einer Dachklempnerei und -deckerei? Bei der einen beschäftigt man sich mit dem Holz und der Konstruktion von Dachstühlen sowie der Dachabdeckung – der klassische Dachdeckerberuf. Dazwischen kommt jedoch der Dachklempner ins Spiel, der für die Blecharbeiten zuständig ist – er dichtet das Dach richtig ab. Schließlich sorgt der Dachdecker für die ästhetische Fertigstellung des Daches.
Vor über 25 Jahren hielt der Senior das Dachdeckerhandwerk für zu schwierig für seinen Sohn, “versuche es mal lieber mit der Dachklempnerei!”, erinnert sich Tobias Heine lachend. Heute ist Tobias Heine Dachklempner- und Dachdeckermeister!
Hinter dem Haus präsentiert Tobias Heine stolz das Herzstück seines Betriebs: den Dachdeckerkran, der seit stolzen zwanzig Jahren treu im Einsatz ist. "Das Alter sieht man ihm nicht an." Ob zwanzig Jahre für einen Dachdeckerkran schon alt ist? "Ja, das ist alt", schmunzelt Tobias Heine. “Aber er tut noch das, was er soll", ergänzt er. Er soll die Arbeitsabläufe auf der Baustelle effizienter machen. Der Kran mit angehängtem Arbeitskorbs macht schwierige Dachflächen in kürzerer Zeit erreichbar, ganz ohne den mühsamen Aufbau eines kompletten Gerüsts. Diese Innovation hat sich mittlerweile in nahezu allen Betrieben durchgesetzt. Der Grund warum sich Dachdecker*innen dieses Gerät anschaffen, ist immer gleich, erzählt uns Tobias Heine. “Die Manpower ist einfach nicht mehr da.” Wie vor vielen Jahren mit einer großen Menschenkraft auf der Baustelle zu arbeiten, ist für viele Dachdeckerbetriebe schon längst passé. Um ihre Arbeit aber weiterhin effizient machen zu können, müssen sie ein dynamisches Handwerk auf dem neuesten Stand der Innovationen bleiben – eine Herausforderung, die Johannes Heine GmbH (kurz: Dach Heine) klar meistert.
“Ein bisschen Nervenkitzel brauchen wir Dachdecker”, sagt Tobias Heine, während er in den Arbeitskorb am Kran steigt. Er schiebt den Hebel an der Fernbedienung an seiner Hüfte hoch und wir sind plötzlich 10 Meter hoch in der Luft, über der Landschaft, den Häusern und Bäumen. Besonders lustig im schwebenden Arbeitskorb findet es Tobias Heine, wenn er an den Fenstern der Bewohner*innen der Häuser vorbeifährt. "Sie wissen ja gar nicht, dass du da bist.” Auf die Frage, wovor seine Azubis keine Angst haben sollten, ergibt sich die Antwort für Tobias Heine ganz klar: “Höhe”, sagt er grinsend. Wenn man aber als potenzielle*r Bewerber*in hier Angst vor dem Herunterschauen hätte, kann eine*n Tobias Heine beruhigen. Er betont, dass es auf dem Dach so viele Aufgaben gibt, dass nach etwa einem halben Jahr die anfänglichen Ängste “gegessen” seien. “Irgendwann kommt man einfach nicht mehr dazu, über die Höhe nachzudenken.”
Die Sonne strahlt warm auf uns herab, während wir hier oben stehen. Ein Blick nach unten offenbart die dunklen Solaranlagen auf dem Dach des kleinen Hauses, die die Sonnenstrahlen einfangen. Sie versorgen das ganze Büro mit Strom durch Sonnenenergie.
Das Installieren von Solaranlagen ist mittlerweile Teil des Berufs, erzählt Tobias Heine. Auch wenn Elektriker*innen daran beteiligt sind, müssen sich die Dachdecker*innen mit den verschiedenen Kabeln auskennen und die Solarpaneele fachgerecht installieren können. Tobias Heine musste das schon nach dem Ausbildungsabschluss lernen und stellt mit Freude fest, dass der Beruf die letzten 30 Jahre vielseitiger geworden ist.
Zurück mit beiden Beinen fest am Boden, ist der kleine Tisch im Flur zwischen den Treppen nach oben und dem kleinen Büro von Peggy Heine liebevoll gedeckt. Darauf liegen Visitenkarten und Broschüren von der Firma. Durch die offene Tür scheint seit heute Morgen ein warmes Licht in den Flur. Obwohl es einen wundern mag, dass die Tür den Tag über offen bleibt, verleiht es den Eindruck von einem Zuhause, indem wir von den lächelnden Gesichtern der Dachdecker begrüßt werden. Obwohl die Dachdecker normalerweise auf der Baustelle sind, erklärt uns Tobias Heine, haben sie sich heute hier versammelt und erledigen ein paar Aufgaben in der Lagerhalle, bis wir uns zum Gespräch sehen.
Die Lagerhalle befindet sich gegenüber dem Bürogebäude, zwei Minuten zu Fuß entfernt über die Straße. In der lichtdurchfluteten Halle stehen die drei Mitarbeiter von Tobias Heine, alle in schwarzer Arbeitskleidung von der Firma Johannes Heine GmbH, personalisiert mit ihrem Namen. Sie wenden sich uns leicht schmunzelnd zu, als wir eintreten. Wir brechen ein wenig die lockere Stimmung im Raum. Dennoch setzt sich der Geselle Mathias gerne mit uns hin und erzählt von der Freude, die er bei seiner Arbeit empfindet. Welche Aufgaben ihm die größte Freude an der Arbeit bereiten? Beispielsweise das Wechseln und Einsetzen von Fenstern, aber dennoch “findest du immer irgendwas, was dir Spaß macht!” Wenn es außerdem “mit den Kollegen stimmt, dann passt es”, erzählt er und grinst seinen zwei Kollegen zu.
Einer der zwei Kollegen ist Lehrling Robert, er befindet sich im 3. Ausbildungsjahr. In einem Monat steht seine letzte Prüfung an, erzählt er uns. Auf die Frage, wie er nun auf die Ausbildung zurückblickt, beschreibt er einen schwierigen Anfang. So schwierig, dass er sogar darüber nachdachte, den Beruf nicht weiterzuverfolgen. Doch sowohl er selbst, seine Kollegen als auch Tobias Heine ermutigen ihn immer wieder: "Du ziehst es durch!” Dank der Zuversicht überstand er so die anfänglichen Hürden, bis er irgendwann den Dreh raus hatte. Seitdem begeistert ihn der Beruf immer mehr. “Wenn man reingekommen ist, weiß was man machen soll und nicht mehr bei jedem Krempel nachfragen muss, macht es auch Spaß”, erzählt er.
Dass der Beruf des Dachdeckers mit Herausforderungen einhergeht, bestätigt uns Seniorchef Johannes Heine. Trotz der fortgeschrittenen Technik, die die Tätigkeiten auf der Baustelle erleichtert, wird es seiner Meinung “für immer” ein körperlich schwerer Beruf bleiben – zugleich aber ein schöner Beruf, der es den Menschen ermöglicht, ihren Arbeitsalltag draußen an der frischen Luft zu verbringen. Das gilt auch für Johannes Heine selbst, der den Beruf in der DDR in Cottbus lernte. In einer Zeit, in der private Firmen “geduldet” waren, aber nicht gerne gesehen, war es schwer, sich selbständig zu machen. Statt einen neuen Betrieb zu gründen, bewarb er sich als Nachfolger bei bestehenden Betrieben. Aus der Besichtigung der Firma vom Unternehmer Gerhard Stieler 1984 resultieren vier Jahre später die Übernahme und der Umzug nach Grimma. 20 Jahre später, Heine Junior hat schon längst ausgelernt, folgt er seinem Vater in die Firma – aus eigenen Stücken! “Wir haben zu niemandem gesagt, jemand muss den Betrieb übernehmen, sondern wir haben immer gesagt: Geht euren Weg und alles Andere findet sich”, erzählt uns Johannes Heine.
Nach dem Vorbild seines Vaters handhabt Tobias Heine die nächste Unternehmensübernahme. Seinen eigenen Kindern wird er die gleiche Freiheit lassen, die er erfahren hat. Was er sich dennoch für die Zukunft des Unternehmens wünscht: seinen Mitarbeitenden, seinen “Jungs”, einen soliden Arbeitsplatz bieten zu können. “Bei Dach Heine arbeiten bis zur Rente!”, im Idealfall also gemeinsam älter werden – wenn er das schafft, kann er mit der Firma und dem Beruf selbst in den Ruhestand gehen, erzählt er. Seine Mitarbeitenden halten, dass er dieser Vision bislang erfolgreich nachkommt, es ist für uns deutlich zu sehen und zu hören. Das Miteinander beschreibt Geselle Mathias als “sehr familiär, freundlich, kumpelhaft – sowohl mit den Kollegen, dem Chef als auch mit dem Senior.”
Nach den vielen Geschichten über die Arbeit auf der Baustelle sind wir neugierig, wie sie nun wirklich abläuft. Tobias Heine schlägt vor, dass wir Lehrling Robert auf einem Dach besuchen. Vom Auto zeigt der Geschäftsführer links und rechts auf verschiedene Dächer, die er bzw. die Firma in der Gegend angefertigt hat. Durch Mundpropaganda kommen kontinuierlich neue Kund*innen aus Grimma. Am Haus angekommen, gehen wir deutlich langsamer auf das Gerüst hinauf als Tobias Heine, der innerhalb von ein paar Minuten ganz oben ist. Während die Blätter am Baum durch die frische Luft rascheln und Robert auf die schwarzen Schieferplatten für den Schornstein zuschneidet, erklärt er, wie er sie nun nebeneinander festklopfen wird. Robert ragt aus dem rapsgelben Hintergrund hervor. Unter dem hellblauen Himmel, neben den grünen Wäldern und den strahlenden Rapsblüten, die sich über das Feld erstrecken, fragen wir uns, ob es einen schöneren Ort für den Alltag gibt.
Bevor wir uns wieder aus dem Staub machen, versammeln sich alle draußen noch einmal für ein gemeinsames Foto. Im Sonnenschein strahlt das Team in die Kamera und wir schließen den Tag mit eindrucksvollen Bilder und Erfahrungen ab.
So endet unser Besuch im Betrieb nicht nur mit einem Foto, sondern auch mit der Erkenntnis, was die wahre Arbeit bei Dach Heine ausmacht. Der Betrieb ist nicht nur ein Ort handwerklichen Geschicks, Mut und Innovationen, sondern auch vom gemeinsamen Wunsch geprägt, hier zusammen mehr zu lernen und weiter zu wachsen. Und so erstreckt sich nicht nur der Kran, sondern jede*r bei Dach Heine über die Wolken gen Sonne.
Text: Dylan Dahlberg
Foto: Claire Marquier